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Allgemeines

Allgemeines

Der medizinische Papyrus Hearst erhielt seine Bezeichnung als Widmung für die Mäzenin Phoebe Apperson Hearst. Sie war Anfang des 20. Jahrhunderts die Geldgeberin einer Ausgrabungskampagne in Deir-el-Ballas (Südägypten, 30 km nördlich Theben, westliches Nilufer), die durch den Ägyptologen George Andrew Reisner geleitet wurde.

Während dieser Grabung (“Hearst Egyptian Expedition”) brachte im Frühjahr des Jahres 1901 ein ägyptischer Bauer eine Papyrusrolle als Dank für die Erlaubnis, nicht mehr benötigte Lehmziegel von den Schutthügeln als Dünger (sebax) für seine Felder nutzen zu dürfen, in das Camp. Der Mitarbeiter Albert Morton Lythgoe nahm die Rolle in Abwesenheit von Reisner in Empfang. Der Fellache erzählte ihm, er hätte den Papyrus zwei Jahre zuvor bei der Suche nach sebax zwischen den Resten der Häuserwände im Gebiet zwischen dem südlichen Stadtteil und dem südlichen Friedhof in einem vergrabenen Topf gefunden. Anschließend habe er den Papyrus - mehr befand sich nicht in dem Topf - mit in sein Haus genommen, ihn in ein Regal gelegt und ihn dort vergessen.

Reisner hielt die Angaben des Bauern für glaubhaft, da dieser dem Papyrus offenbar keinen besonderen Wert beimaß und keine weitere Entlohnung erwartete bzw. forderte. Und als man ihm nach ca. sechs Monaten ein Geldsumme zum Dank übergab, nahm er diese an, ohne weiter um ihre Höhe zu verhandeln.

Die Papyrusrolle war eng mit dem Ende eines einheimischen Kopftuchs verschnürt und war sicherlich auf diese Art und Weise vom Fundort in das Dorf gebracht worden. Dies erklärt auch zwanglos die Zerstörungen der Kolumnen 16 bis 18, die die Außenseite der Rolle bildeten. Die Papyrusstücke, die während des Transports in das Dorf herausbrachen, sind verloren; jedoch diejenigen Fragmente, die auf dem Weg in das Grabungscamp abbrachen, konnten noch aus den Falten des Kopftuchs geborgen werden. Somit ist durch das kleine Fragment der Kolumne 18 zumindest das Ende des Papyrus Hearst klar definiert.

Heute wird der Papyrus in der Bancroft Library der Universität von Kalifornien in Berkeley (APIS ID 4970) aufbewahrt.

"Technische" Daten in Kurzfassung

Name: benannt nach Phoebe Hearst, der Geldgeberin für die Ausgrabung George A. Reisners
Erworben: 1901 in Deir-el-Ballas, Ägypten; mutmaßlicher Fund eines Bauern zwei Jahre zuvor im späteren Ausgrabungsareal
Datierung: Neues Reich, ca. 16. Jh. v.Chr. (ähnlich Papyrus Ebers)
Maße: 3,5 x 0,17 Meter
(18 Kolumnen, in 18 Teile zertrennt und gerahmt)
Sprache: Ägyptisch
Schrift: Hieratisch, von rechts nach links; geschrieben in horizontalen Zeilen in schwarzer und roter Tinte
Erhaltung: Im Bereich der (heutigen) ersten Kolumne ist der Papyrus abgerissen. Da eine Paginierung fehlt, ist unklar, wie viele Kolumnen davor fehlen. Die letzten drei sind nur noch fragmentarisch erhalten, da sie die Außenschicht der Papyrusrolle bildeten und aufgrund er Behandlung/Lagerung zu großen Teilen zerstört wurden bzw. verloren gingen.

(Klick auf das Bild für höhere Auflösung)

(Quelle: Homepage des Tebtunis-Papyrus-Projekts der Bancroft Library, Universität von Kalifornien, Berkeley)

Beschreibung

Die Länge des Papyrus Smith beträgt heute ca. 3,50 Meter. Die ehemalige Rolle wurde noch im Grabungscamp von Reisner und Ludwig Borchardt ausgerollt, zum ersten Mal seit der Antike, wie sich anhand der Falten, des feinen Staubs und der Insektenspuren nachweisen ließ.

Der Anfang des Textes befand sich im Inneren der Rolle; die (heute) erste Kolumne ist jedoch partiell verloren. Legt man die Breite der Kolumne 2 zugrunde, dürfte etwa ein Drittel vom rechten Rand abgerissen sein. Wieviele Kolumnen eventuell noch davor fehlen, lässt sich nicht rekonstruieren.

Der Papyrus ist heute zur besseren Handhabung in 18 Fragmente unterteilt und hinter Glas konserviert. Über den Schriftträger, also den Papyrus als Beschreibstoff, gibt es bisher keine detaillierte Beschreibung; in seiner Publikation erwähnt George Reisner nicht einmal die Länge des Papyrus vor dessen Zerteilung. Auf der Homepage der Bancroft Library findet sich folgender Hinweis: “While the contents of the papyrus have been studied extensively in the course of time with the help of the plates published by Reisner, the papyrus itself has never been the object of careful analysis.” (Link)

Die Höhe des Papyrus beträgt ziemlich konstant 17,2 cm. Dies ist ein typisches Maß für das Schreibmaterial im Neuen Reich.

Die Kolumnen haben eine annähernd konstante Höhe, variieren jedoch etwas in der Breite (18-23cm) und in der Zeilenzahl (16-18). Neun Kolumnen enthalten 17 Zeilen, jeweils vier enthalten 16 Zeilen (Nr. 4, 5, 7 und 17) bzw. 18 Zeilen (Nr. 8-11); die letzte Kolumne enthält nur noch drei Zeilen. Insgesamt finden sich auf der Vorderseite des Papyrus also 292 Zeilen Text. Die Rückseite ist unbeschrieben.

 

Inhaltsübersicht

Beim Papyrus Hearst handelt es sich - ähnlich dem Papyrus Ebers - um eine sog. Sammelhandschrift, also eine Zusammenstellung von Einzelrezepten, die mehr oder weniger gut zu Gruppen oder Kapiteln angeordnet sind. Diese Sortierung ist beim pHearst besonders schwierig nachvollziehbar, jedenfalls deutlich schwieriger als beim pEbers. Bereits Reisner hat in seiner Publikation versucht, eine entsprechende Gliederung zu erkennen und in Form von 18 Kapiteln wiederzugeben.
Die folgende Tabelle sollte seiner Aufstellung zwangsläufig ähnlich sein; sie unterteilt die Rezepte jedoch nicht so grob und ist daher etwas umfangreicher:

Abschnitt

Kolumne, Zeile

Rezept-Nr. (Anzahl)

Inhalt

1

1,1 - 1,6

1-7 (7)

Darm-Mittel, gegen Schmerzen und zum Abführen

2

1,7 - 1,16

8-15 (8)

Mittel für Zähne und gebrochene Knochen

3

1,16 - 2,9

16-24 (9)

Einzelrezepte ohne Zusammenhang, darunter 3 Heilmittel gegen Bisse vom Menschen (Nr. 21-23)

4

2,9 - 2,17

25-30 (6)

Heilmittel für den Bauch und gegen Schmerzstoffe

5

2,17 - 3,10

31-40 (10)

Einzelrezepte ohne Zusammenhang, darunter 2 Heilmittel gegen Schweißgeruch (Nr. 31+32)

6

3,10 - 4,2

41-47 (7)

Mittel gegen Schmerzstoffe

7

4,2 - 4,6

48-52 (5)

Herzmittel

8

4,6 - 4,10

53-58 (6)

Bauchmittel, darunter ein Lungenmittel

9

4,11 - 5,7

59-70 (12)

Harn- und Harnblasenmittel, darunter zwei Hustenmittel

10

5,7 - 6,5

71-77 (7)

Kopfheilmittel (sog. Göttermittel)

11

6,5 - 6,11

78 (1)

Begleitspruch für das Auflegen eines Heilmittels (vgl. pEbers 1)

12

6,11 - 7,10

79-87 (9)

Heilmittel gegen den aAa-Giftsamen

13

7,10 - 7,12

89-92 (4)

Heilmittel gegen eine Schlagverletzung, anschl. zwei Einzelrezepte ohne Zusammenhang

14

7,14 - 9,4

94-124 (31)

Sammelhandschrift zur Behandlung der Gefäße

15

9,4 - 10,1

125-141 (17)

Mittel gegen Geschwüre und Schwellungen, darunter einige eingestreute Einzelrezepte

16

10,1 - 10,4

142-143 (2)

Verschiedenes

17

10,4 - 11,1

144-158 (15)

Haar-, Schweiß- und Kosmetikmittel, dazwischen ein Abführmittel (Nr. 152)

18

11,1 - 11,17

159-172 (14)

Heilmittel gegen (dämonische?) Krankheiten, Beschwörungen

19

11,17 - 13,12

173-205 (33)

Behandlung von Fingern und Zehen

20

13,12 - 13,17

206-211 (6)

Behandlung der nsyt-Krankheit

21

13,17 - 14,13

212-216 (5)

Begleitsprüche für Messgeräte und Zutaten

22

14,13 - 15,6

217-227 (11)

Behandlung des Knochens

23

15,6 - 16,4

228-238 (11)

Behandlung der Gefäße, dazwischen zwei Knochenmittel (Nr. 233+234)

24

16,4 - 16,9

239-244 (6)

Tierbisse

25

16,9 - 16,13

245-248 (4)

Wundbehandlung

26

16,13 - ...

249 - ...

Mittel zum Kühlen der Gefäße

27

 

 

diverse zerstörte und nicht mehr zuzuordnende Rezepte

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Viele dieser Rezepte kommen in identischer oder zumindest ähnlicher Form auch im Papyrus Ebers vor. Aber der Papyrus Hearst ist keinesweg eine Kopie desselben, sondern enthält auch Texte, die dem Papyrus Ebers fehlen. Er ist somit eine willkommene Ergänzung des Rezeptkanons.

 

Literatur

Leake, Chauncey D.: The Old Egyptian Medical Papyri. University of Kansas Press, 1952.

Reisner, George A.: The Hearst Medical Papyrus. Hieratic Text. In 17 Fascimile Plates in Collotype with Introduction and Vocabulary. Hinrichs, Leipzig 1905.

Westendorf, Wolfhart: Handbuch der altägyptischen Medizin. Brill, 1999, Band 1, S. 35-37.

Wreszinski, Walter: Die Medizin der alten Ägypter. Band 2: Der Londoner medizinische Papyrus (Brit. Museum Nr. 10059) und der Papyrus Hearst. Transkription, Übersetzung und Kommentar. Hinrichs, Leipzig 1912.

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