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Allgemeines

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Der “Papyrus Edwin Smith” erhielt seinen Namen nach dem amerikanischen Ägyptologen Dr. Edwin Smith (1822 - 1906). Smith studierte Ägyptologie in London und Paris. Seit 1858 hielt er sich in Ägypten auf, wo er bis 1876 in Luxor blieb.
Soweit bekannt, erwarb Smith am 20. Januar 1862 auf dem thebanischen Antikenmarkt zwei Papyrusrollen medizinischen Inhalts - eine große und eine kleine. Zwei Monate später kaufte er noch einzelne Papyrusfragmente hinzu, die sich dem Beginn der kleineren Rolle zuordnen ließen. Die beiden Papyri entstammten vermutlich einer Raubgrabung; ihr genauer Herkunfsort bleibt letztendlich unklar. Nach Aussage von Ebers stammten die beiden Papyri von einem Einheimischen, der sie in einem westthebanischen Privatgrab in Assassif zwischen den Beinen einer Mumie gefunden haben wollte. Ob dies zutrifft, kann nicht bestätigt oder widerlegt werden, da der einheimische Verkäufer bei Ebers’ Erwerbung des großen Papyrus bereits tot war und das Grab nicht mehr identifiziert werden konnte. Möglicherweise wurden die Schriften jedoch auch in einem Archiv des Ramesseums ergraben. In Smith’ Unterlagen finden sich jedenfalls keine Hinweise, woher die Papyri stammten.
Obwohl dem Franzosen Champollion erst 1822 die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen gelang, ist es erstaunlich, wie gut der Amerikaner Smith in der Kenntnis der hieratischen Schrift bewandert war, da er doch große Teile des Inhalts seines kleinen Papyrus verstanden hatte, wie einem Übersetzungsmanuskript zu entnehmen war. Auch die erste richtige Lesung der Jahreszahl “9” auf der Rückseite des großen Medizinpapyrus (dem späteren Papyrus Ebers) wird ihm zugeschrieben.

Wenn wir heute vom Papyrus Smith sprechen, meinen wir insbesondere die Abhandlung über die Wunden. Selbst die Texte der Rückseite werden kaum mit diesem Namen verknüpft.
Es war jedoch ein anderer Papyrus, der zunächst von Lepsius bzw. Goodwin als “Papyrus Smith” bezeichnet wurde, nämlich der heute als “Papyrus Ebers” bekannte. Beide Papyri befanden sich anfangs in Mr. Smith’ Besitz, bis er die große Papyrusrolle 1873 an den deutschen Ägyptologen Georg Ebers veräußerte. Warum Smith den großen, und nicht den kleinen Papyrus verkaufte, ist unklar. Professor Ebers behauptete später, daß Smith lediglich den kleinen Papyrus besaß, der große ihm nur zu Verkaufszwecken überlassen worden sei.
Während dieser große Medizinpapyrus in der ägyptologischen Literatur der 1870er Jahre also noch als “Papyrus Smith” bekannt war, unternahm Georg Ebers nach dem Erwerb der fast 20m langen Papyrusrolle alle Anstrengungen, um den Namen Smith vollständig von diesem Papyrus zu lösen und um dieses fantastische hieratische Manuskript mit dem eigenen Namen in Verbindung zu bringen. Seit der Publikation der 1875 erschienenen Faksimile-Ausgabe des “Papyros Ebers” wird die große Papyrusrolle nach Georg Ebers, die kleine nach Edwin Smith benannt.

"Technische" Daten in Kurzfassung

Name: benannt nach dem Erwerber, dem amerikanischen Ägyptologen Edwin Smith
Erworben: 1862 in Theben, Ägypten; vermutlich Beute einer Raubgrabung in Theben-West
Datierung: Ende der 2. Zwischenzeit bis Anfang des Neuen Reiches
(ca. 1650-1550 v.Chr.)
Maße: 4,68 x 0,32 Meter (aus konservatorischen Gründen in 8 Fragmente zertrennt)
Sprache: Ägyptisch
Schrift: Hieratisch, von rechts nach links; geschrieben in horizontalen Zeilen in schwarzer und roter Tinte
Erhaltung: Die erste erhaltene Kolumne liegt nur fragmentarisch vor, und vermutlich fehlt am Papyrusanfang eine weitere. Diese Kolumne 1 wurde bereits vom ägyptischen Händler abgetrennt, um den restlichen Papyrus als augenscheinlich “vollständig” zu veräußern. Die übrigen 16 der 17 Kolumnen der Vorderseite sowie die 5 Kolumnen der Rückseite sind hervorragend erhalten.

Kolumnen 6 und 7                                                                     (Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:EdSmPaPlateVIandVIIPrintsx.jpg)

Beschreibung

Die Länge des Papyrus Smith beträgt heute 4,68 Meter. Die ehemalige Rolle wurde zur besseren Handhabung bereits von Edwin Smith in 8 Fragmente unterteilt und hinter Glas konserviert. Sie war ursprünglich aus 12 Papyrusblättern von je etwas mehr als 40cm Breite zusammengesetzt; die Gesamtlänge dürfte also fast 5 Meter betragen haben. Die Klebungen sind hervorragend ausgeführt und somit ein Zeichen von hoher Handwerksqualität. Das erste Papyrusblatt ist nur zur Hälfte erhalten, so daß dies als Indiz für mindestens eine fehlende Kolumne am Anfang des Papyrus ist. Inhaltlich hätte man hier den Originaltitel der Handschrift und möglicherweise den Namen des Autors oder Schreibers erwarten dürfen.
Die Höhe des Papyrus schwankt zwischen 32,5 und 33cm. Dies ist ein typisches Maß für das Schreibmaterial vom Mittleren bis zum frühen Neuen Reich.
Auf der Vorderseite (Rekto) befinden sich 17 Kolumnen hieratischer Schrift, geschrieben mit schwarzer und roter Tinte in horizontalen Zeilen. Die Kolumnen haben eine annähernd konstante Höhe von 28 bis 29cm, variieren jedoch ziemlich in der Breite (18-27cm) und in der Zeilenzahl (18-26). Insgesamt finden sich auf der Vorderseite 377 Zeilen.
Die Rückseite weist 92 Zeilen in zwei verschiedenen Handschriften auf. Die ersten 3 1/2 Kolumnen (64 Zeilen) sind vom selben Schreiber ausgeführt wie die Vorderseite. Der Rest der Kolumne 21 und die gesamte Kolumne 22 sind von einer anderen Hand geschrieben und müssen aufgrund paläographischer Kriterien deutlich später datiert werden.

Die Datierung des Papyrus bereitet gewisse Schwierigkeiten, da er eine große Schwankungsbreite an paläographischen Formen bietet - vom Mittleren Reich über die Hyksos-Zeit bis zum Beginn des Neuen Reiches. Breasted möchte den Papyrus frühestens an das Ende des 17. Jahrhunderts v.Chr. datieren, plaziert ihn jedoch mit größerer Wahrscheinlichkeit in die Hyksos-Periode. Gewiß sei er jedoch “not less than a generation older” als der Papyrus Ebers, was Westendorf im “Handbuch der altägyptischen Medizin” nicht zu berücksichtigen scheint, da er sowohl den Papyrus Smith als auch den Papyrus Ebers auf 1550 v.Chr. (entsprechend der zeitlichen Einordnung des Ebers-Kalendariums) datiert. Mit einem etwas weiter gefaßten Zeitraum vom Ende der Hyksos-Periode bis zum Anfang des Neuen Reiches (ca. 1650-1550 v.Chr.) dürfte man diesen vorgegebenen Bedingungen wohl gerecht werden.

Die Zeit der Niederschrift stimmt jedoch nicht mit der Zeit der Entstehung des medizinischen Textes überein. Sein genaues Alter läßt sich nicht mehr bestimmen, jedoch ist er mit einiger Sicherheit in das Alte Reich zu versetzen, wie durch einige altägyptische Grammatik-Reste bewiesen wird. Selbst die Glossen - erklärende Kommentare am Ende von 29 Fällen, die eine Art kleines medizinisches Wörterbuch bilden und durch die Erläuterung von zahlreichen Begriffen den enormen Wert des Papyrus Smith ausmachen - scheinen bereits zum Ende des Alten Reichen bzw. Beginn des Mittleren Reiches von einem unbekannten Kommentator hinzugefügt worden zu sein. Da sich die ägyptische Medizin keiner eigenen Fachsprache bedient, scheint es also bereits zu dieser Zeit notwendig gewesen zu sein, den noch älteren medizinischen Urtext in gewissen, mittlerweile unverständlichen Teilen zu erläutern bzw. neu zu definieren.

 

Online-Präsentation

Die National Library of Medicine (NLM) präsentiert den Papyrus Smith in einer einzigartigen Form. Virtuell lässt sich die Papyrusrolle, die aus den gescannten Originalen am Computer wieder zu einem Ganzen verschmolzen wurde, ab- und aufrollen, jeder Ausschnitt heranzoomen und die englische Übersetzung anzeigen.

Klick: An Ancient Medical Treasure at Your Fingertips

 

Literatur

Allen, J.P., The Art of Medicine in Ancient Egypt, Yale University Press, New York 2005, ISBN 9780300107289

Brawanski, A., Die Fälle 1-8 des Papyrus Edwin Smith („Schädelhirntraumafälle“), in: SAK 29, Hamburg 2001, S. 7-39.

Breasted, J.H., The Edwin Smith Surgical Papyrus, Chicago 1930 (2 Bände).

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